3 Minuten mit: Gerald Duschner
Leiter der digitalen Übungsfirma "Puzzle Manufacturing GmbH"
Gerald Duschner leitet die „PUZZLE MANUFACTURING GmbH“, eine Übungsfirma 4.0, die 2017 gegründet wurde, um Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland auf eine kaufmännische Arbeit in einem Unternehmen vorzubereiten. Eine Übungsfirma 4.0 ist die webbasierte Weiterentwicklung einer Übungsfirma, in der Auszubildende und Umschüler*innen üben und lernen können.
Gerald Duschner berichtet im Interview von den genauen Abläufen in Übungsfirmen, er erzählt uns, wie eine falsche Kommasetzung in einer Übungsfirma beinahe eine "Insolvenz" ausgelöst hätte und warum gerade Übungsfirmen das selbstständige Arbeiten und die Gewissenhaftigkeit der Teilnehmer*innen stärken.
Der Begriff „Übungsfirma oder Übungsfirma 4.0“ ist sicherlich nicht jedem geläufig. Worum handelt es sich dabei genau?
Eine Übungsfirma ist eine Einrichtung, in der Personen, die eine kaufmännische Ausbildung absolvieren, ein Unternehmen bilden und mit anderen Übungsfirmen Handel betreiben. In der Übungsfirma ist alles an Büros, Büroausstattung etc. vorhanden, nur die tatsächliche Produktion von Waren findet nicht statt. Dabei ist das Wort Simulation selbst nicht ganz korrekt, weil eine Bestellung bei einer anderen Übungsfirma eben auch eine Reaktion auslöst. Die andere Übungsfirma muss eine Auftragsbestätigung senden, eine Rechnung schreiben, und die Auftrag gebende Übungsfirma muss diese Rechnung dann wiederum „bezahlen“.
Eine Übungsfirma 4.0 hat alle Funktionen einer „normalen“ Übungsfirma, nur dass man sich online in einer Plattform einloggt, die quasi die Übungsfirma darstellt.
Die gesamte Einrichtung soll dabei als Übung für das spätere Arbeiten in einer richtigen Firma dienen. Deutschlandweit gibt es übrigens um die 500 Übungsfirmen, weltweit ca. 7.000. Jede Übungsfirma kann dabei mit allen anderen, sowohl national als auch international, Handel treiben.
In der dazugehörigen Online-Plattform einer Übungsfirma 4.0 sind neben den Office-Anwendungen und weiteren Arbeitsgrundlagen alle Anwendungen (z.B. ERP-System Dynamics NAV) einer Übungsfirma vorhanden; man kann so auf webbasierte Tools und Dateiablagen zugreifen, um z.B. Dokumente in der Cloud zu bearbeiten. Darüber hinaus gibt es verschiedene Kommunikationskanäle; Haupt-Kommunikationskanal ist das virtuelle Klassenzimmer. Dort ist es z.B. möglich, dass sich Gruppen, die eine Abteilung bilden, zusammenfinden, um über Headset und/oder Video miteinander zu kommunizieren oder ihre Bildschirme zu teilen. Eine Chatfunktion ist ebenfalls vorhanden. Man kann also über diverse Kanäle miteinander kommunizieren.
Dabei sind die Teilnehmer*innen örtlich ungebunden; sie können zusammen in einer Übungsfirma arbeiten, obwohl sie sich an verschiedenen Orten innerhalb Deutschlands oder auch im Ausland befinden.
Ein Kernstück der Übungsfirma 4.0 stellt ein webbasiertes Handbuch dar, in dem sich die Teilnehmer*innen selbstständig über ihre genauen Aufgaben informieren können. Ich selber stehe als Leiter natürlich ebenfalls zur Verfügung, um Funktionen und Arbeitsabläufe zu erklären.
Wie lange gibt es die Übungsfirma 4.0 bereits?
Start war im Dezember 2017. Zunächst mussten dabei die Strukturen, wie die Organisation der Dateiablage oder die Frage nach den technischen Grundlagen geklärt werden. Wir mussten so z.B. entscheiden, welches ERP-System und welche Art des virtuellen Klassenzimmers wir nutzen möchten. Und dann mussten wir natürlich noch berücksichtigen, dass die Software und die technischen Strukturen kompatibel sind.
Warum wurde neben den Übungsfirmen, bei denen man vor Ort anwesend sein muss, eine virtuelle, bundesweite Übungsfirma gegründet?
Der Deutsche ÜbungsFirmenRing hatte sich überlegt, dies zu initiieren, um Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland zusammenzuschließen und in der virtuellen Übungsfirma „Puzzle Manufacturing GmbH“ von mir als Übungsfirmenleiter betreuen zu lassen. So können insgesamt mehr Teilnehmer*innen akquiriert werden.
Die Übungsfirma 4.0 "THE PUZZLE MANUFACTURING GmbH" steht mit anderen Übungsfirmen (national wie international) in Geschäftsbeziehungen.
Welche Abteilungen hat denn Ihre virtuelle Übungsfirma und wer gehört zu Ihren Teilnehmer*innen?
In der „PUZZLE MANUFACTURING GmbH“ gibt es die klassischen Abteilungen Einkauf, Verkauf, ein Material - als auch ein Versandlager, eine Marketing-Abteilung, eine Finanzbuchhaltung sowie den Bereich Fertigung, der die Planung von Fertigungsprozessen und Materialbedarf sowie Kapazitäten simuliert, und, zu guter Letzt, auch eine Personalabteilung.
Zu unseren Teilnehmer*innen gehören dabei Auszubildende oder Umschüler*innen von diversen Bildungsträgern. Ein Vorteil, den eine Übungsfirma bietet, ist das direkte Ausprobieren theoretischer Grundlagen in der Praxis. Dabei hat man keinerlei Beschränkungen. Man kann in jeder Abteilung arbeiten.
Gerade Personalabteilungen oder Finanzbuchhaltungen mit ihren sensiblen Daten schützen sich oft vor Auszubildenden. Aber in einer Übungsfirma können Auszubildende oder Umschüler*innen ganz „normal“ in der Personalabteilung arbeiten und Erfahrungen sammeln.
Darüber hinaus sind Fehler erlaubt, ohne dass das Unternehmen Schwierigkeiten bekommt. Ich habe selber mal einen Fall erlebt, bei dem ein Teilnehmer Sozialversicherungsbeiträge überweisen sollte und in der Online-Überweisung anstelle von 3.680 € dann 3.680.000 € angab. Der Fehler war damals eine banale falsche Kommasetzung und wurde erst einen Monat später entdeckt. In der Realität eine Katastrophe! Die dadurch anfallenden negativen Zinsen in Höhe von 20.000 € hätten einen Kleinunternehmer bankrott gehen lassen können.
Zum Glück gab es keinen reellen Schaden und dem Teilnehmer von damals wird so etwas sicherlich nicht noch einmal passieren! Ärger gab es keinen. Im Gegenteil: Bei uns sind Fehler sogar erwünscht! In einer realen Firma wird man bestimmte Dinge einfach nicht selber machen dürfen, aber in einer Übungsfirma können die Teilnehmer*innen aus ihren Fehlern lernen und sich durch die Eigenverantwortlichkeit den Konsequenzen ihres Handelns bewusst werden. Dadurch arbeiten unsere Teilnehmer*innen gewissenhafter als manch Auszubildender in der freien Wirtschaft.
Das Thema Inklusion ist ebenfalls in Verbindung mit Übungsfirmen interessant. „Alle Inklusive GmbH“ heißt beispielsweise eine virtuelle Übungsfirma, die sich auf die Inklusion beeinträchtigter Menschen spezialisiert hat. Sie waren ebenfalls am Aufbau dieser virtuellen Übungsfirma beteiligt. Können Sie uns sagen, wie genau?
Die „PUZZLE MANUFACTURING GmbH“ war die Basis für die „Alle Inklusive“. „Alle Inklusive“ hat die Struktur übernommen und an ihre Gegebenheiten angepasst. Die Übungsfirmenleitung der „Alle Inklusive“ hat so beispielsweise Ordner-Strukturen oder Arbeitsprozesse an die Bedürfnisse ihrer Teilnehmer*innen angepasst. Sie betreibt nun Handel mit aufbereiteten alten Möbeln und Deko-Artikeln, also fiktiven Retroartikeln.
Sie persönlich, Herr Duschner, greifen bei Ihrer Arbeit auf einen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz aus Tätigkeiten in ganz Deutschland zurück. Wo haben Sie schon überall gearbeitet?
Angefangen habe ich mit einer Übungsfirma in Berlin und habe ich mich dort auch sehr wohl gefühlt. Berlin war damals wie eine Insel. 1999 bin ich dann nach Mannheim gezogen, um für eine Übungsfirma in der Erwachsenbildung zu arbeiten. Über Leipzig und Wiesbaden bin ich dann schließlich nach Darmstadt gekommen, wohne mittlerweile immer noch dort und fühle mich dabei sehr wohl. Und auch, wenn sich die Zentralstelle des Deutschen ÜbungsFirmenRings in Essen befindet, werde ich in Darmstadt wohnen bleiben. Als sich die virtuelle „Puzzle Manufacturing GmbH“ noch in der Aufbauphase befand, bin ich oft nach Essen gependelt, aber mittlerweile läuft der Betrieb gut, die Teilnehmer*innen sind mehr geworden und ich kann gerade aufgrund der virtuellen Plattform / Infrastruktur auch von Darmstadt aus arbeiten.